Portrait Willi Schüßler

Der Brückenbauer aus dem Westerwald

Willi Schüßler ist der Gründer von Schüßler-Plan. Porträt eines leidenschaftlichen Bauingenieurs und Unternehmers

DER MENSCH

Uneitel und unbeirrbar
Ende der 70er-Jahre bat der Bauindustrieverband zum traditionellen „Martinsmahl“ ins Düsseldorfer Hilton-Hotel. Ein gesellschaftlich angesehener Termin, bei dem sich auch höchste Regierungsvertreter blicken ließen. Mit anderen Worten: Vor dem Hilton standen die schwarzen Limousinen Schlange. Auch Willi Schüßler war geladen. Dummerweise war sein Mercedes in der Werkstatt. „Kannst du mich hinfahren?“, bat er seine Tochter Elisabeth. Sie erwiderte, sie habe gerade nur einen von einem Freund geliehenen Wagen – eine alte, orangefarbene Ente. Darauf ihr Vater: „Ist mir egal. Lass uns los!“

Die Tochter fühlte sich leicht deplatziert, als sie mit ihrer farbenfrohen Leih-Ente am Ende der schwarzen Nobelwagenkolonne stoppte. „Steig am besten hier aus, damit keiner sieht, mit was für einem Auto du kommst“, riet sie ihrem Vater. Der blieb stumm sitzen. Langsam kroch die Schlange voran, die Ente kroch mit. Aus der Ferne war zu beobachten, wie Hotelbedienstete mit großer Geste Türen aufzogen und den Wagen wichtig aussehende Herrschaften entstiegen – eine Stimmung wie bei einem Staatsempfang. Je näher Vater und Tochter dem Hotel-eingang kamen, umso dringlicher bat die Tochter, ihr Vater möge die letzten Meter zu Fuß gehen. Willi Schüßler blieb sitzen. Als die Ente am Eingang angekommen war, sahen die livrierten Bediensteten in die Luft, als gäbe es die Ente nicht. Willi Schüßler blieb sitzen. Irgendwann hatten die Bediensteten ein Einsehen. Einer trat heran und öffnete die Tür. Willi Schüßler stieg betont langsam aus, als hätte er alle Zeit der Welt.

So war er, der Gründer von Schüßler-Plan: Uneitel. Unbeirrbar. Dazu mit einem beachtlichen Selbstbewusstsein ausgestattet, das für mehrere Leben gereicht hätte. Ein Machtmensch, der jederzeit in der Lage war, seiner Umgebung zu demonstrieren, wer das Sagen hat. Er war ein Charmeur, ein Charismatiker. Betrat er einen Raum, hatte man den Eindruck, der Raum sei auf einmal voll. Er war ein Chef alter Schule. Ein klassischer Patriarch.

Willi Schüßler, der 2016 im Alter von 87 Jahren friedlich im Kreis seiner Familie entschlief, wurde am 23. August 1928 in Winkels im Westerwald geboren. 1946 zog er nach Düsseldorf, wo er eine Maurerlehre begann, die er 1949 abschloss. Im Wintersemester 1948/49 nahm er an der RWTH Aachen sein Bauingenieurstudium auf. Seit Kindertagen wollte er Bauingenieur werden. Seine Diplomarbeit verfasste er an der Technischen Hochschule Darmstadt zum Thema: „Berechnung einer Hängebrücke nach der Theorie II. Ordnung“. Die folgenden fünf Jahre arbeitete er als Angestellter, zunächst in der Düsseldorfer Niederlassung der Dyckerhoff & Widmann AG, anschließend bei der Saar-Bauindustrie in Dortmund. Im August 1958 machte er sich in Düsseldorf selbstständig, in seinem Wohnhaus am Heideweg 27. „Am Küchentisch“, wie er zu sagen pflegte. Noch bis zum 50-jährigen Firmenjubiläum konnte man dieses Schild am Hauseingang sehen:

DER UNTERNEHMER

Optimistisch und zupackend
Willi Schüßler war ein hingebungsvoller Arbeiter. Er zeichnete, wann immer es ging. Fuhr er ausnahmsweise in Ferien, nutzte er die Zeit, um Grundrisse und Skizzen anzufertigen und Berechnungen anzustellen. Anschließend tapezierte er mit den Werken die Wände des Hotels oder der Pension. Als sein Unternehmen etabliert war, kümmerte er sich in erster Linie darum, dass die Auftragsbücher gefüllt blieben, sprich um die Akquise. Bei Präsentationen, die damals noch ohne Beamer und Powerpoint auskamen, liebte er es, seinen potenziellen Kunden Details anschaulich zu machen. Er hatte seine ganz eigene Art der Präsentation: Er beklebte die Wände der Konferenzzimmer mit Plänen. Reichten die Wände nicht aus, beklebte er bedenkenlos Fenster und Türen – und machte sein Publikum auf diese Weise sprachlos.

Er war von einer notorischen Zuversicht, außerdem das, was man heute einen begnadeten Netzwerker nennen würde. Er kannte die einflussreichen Menschen der Branche und verstand es, das Geschäft systematisch und mit profundem Know-how zu erweitern. Galt anfangs dem Brücken- und Hochbau sein Hauptaugenmerk, kam später die Verkehrsinfrastruktur hinzu. Ein gutes Jahrzehnt nach der Firmengründung, Anfang der 70er-Jahre, erhielt er den Auftrag, die U-Bahnunterfahrung am Düsseldorfer Hauptbahnhof zu planen – ein Meilenstein für das Ingenieurbüro Willi Schüßler. Gut ein Jahrzehnt später erfolgte der Bau der City-Trasse Offenbach, die zur Gründung der Frankfurter Gesellschaft führte. Ebenfalls Mitte der 80er-Jahre stand der Neubau des Düsseldorfer Schüßler-Plan-Büros an. Mit dem Projekt „Elektrifizierung Berliner Nordring“, mit dem 1990 die Gründung der Berliner Gesellschaft einherging, erreichte die Expansion schließlich die nächste Dimension. Willi Schüßlers zupackender Optimismus war unerschütterlich.

1995 zogen dunklere Wolken am Himmel auf: Dem Büro ging langsam, aber sicher die Arbeit im Hochbau aus. Dann, im April 1996, ereignete sich am Düsseldorfer Flughafen jene Brandkatastrophe, bei der 17 Menschen ums Leben kamen. Wenige Tage später rief Willi Schüßler den technischen Geschäftsführer des Flughafens an und fragte vorsichtig, ob er mit seinem Büro bei der Bewältigung der Brandfolgen helfen könne. Willi Schüßler wurde umgehend zu einem Ortstermin eingeladen, gleich für den nächsten Morgen – und erhielt prompt den Großauftrag zur Herstellung der so genannten Interimsbauwerke am Düsseldorfer Flughafen, die dann am 1. November 1996 in Betrieb gehen sollten. Buchstäblich über Nacht hatte das Büro wieder Vollbeschäftigung.

DER VORGESETZTE

„Nicht verzagen, Willi fragen“
Fragt man Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Schüßler-Plan, die lange mit dem Gründer zusammengearbeitet haben, wie er als Chef war, sind die Antworten einhellig: Willi Schüßler war fordernd und alles andere als antiautoritär. Zugleich war er großzügig und in der Lage, den Beschäftigten bei ihrer Arbeit maximalen Freiraum zu gewähren. Er konnte aufbrausend sein, war aber nicht nachtragend. Ein unverstellter, aufrichtiger, gleichsam autonomer Charakter, der die Regeln, nach denen er lebte und arbeitete, selbst schuf.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es noch keine regelmäßigen Mitarbeitergespräche oder Feedback-Prozesse. Gleichwohl war ihm der Zusammenhalt der Belegschaft schon damals wichtig. Willi Schüßler organisierte ihn auf seine Weise. Gab es etwas zu feiern, rief er die Belegschaft zusammen und köpfte einen „Perlemann“, sprich einen Sekt. Gab es nichts zu feiern, köpfte er ihn ebenso – gute Laune war erste Unternehmerpflicht. Litten tags darauf alle unter einer leichten Schräglage, konnten sie sich an ihrem Chef wiederaufrichten: Der war fidel wie stets, als hätte er anstelle von Alkohol Wasser getrunken. Eine indes abwegige Vorstellung.

Es kommt nicht von ungefähr, dass viele Fotos Willi Schüßler mit einem fröhlichen Lachen zeigen und dass er zum Schüßler-Plan-Magazin gerne heitere Kolumnen beisteuerte, die bisweilen von seiner Heimat, dem Westerwald handelten. Eine seiner Maximen lautete: „Nicht verzagen, Willi fragen“. Seine Laune verging ihm höchstens, wenn er ausnahmsweise aus einem Wettbewerb nicht als Sieger hervorging. Oder wenn er mit Bedenkenträgern zu tun hatte. Oder wenn ein Mitarbeiter mit einem Urlaubswunsch zu ihm kam.

DAS FAMILIENOBERHAUPT

„Lasst uns also fröhlich sein!“
Work-Life-Balance? So etwas gab es zu Zeiten von Willi Schüßler nicht. Sie wäre in seine Weltanschauung schwerlich integrierbar gewesen, schließlich war seine Arbeit sein Leben. Zugleich war seine Familie der zentrale Ankerpunkt: seine Frau Christel und die vier Kinder Elisabeth, Hille, Norbert und Monika. Die sonntäglichen Familientreffen galten als sakrosankt. Da hatte man präsent zu sein, und das galt dann ohne Ausnahme auch für seinen Schwiegersohn, den damaligen Düsseldorfer Oberbürgermeister Joachim Erwin.

Willi Schüßler sorgte früh für die Nachfolge in seinem Unternehmen, baute der nächsten Generation Brücken in die Zukunft. Am wohlsten fühlte er sich, wenn er seine Familie um sich wusste und in Ruhe seiner Arbeit nachgehen konnte. Wenn Familie und Arbeit, zumindest räumlich, eins waren. Gelegentlich war die Familie aufgerufen, spontan ihr Scherflein zum Wohlergehen der Firma beizutragen. Gerne am Wochenende, zu fortgeschrittener Stunde, wenn Willi Schüßler Geschäftsbesuch nach Hause eingeladen hatte und die ohnehin schon blendende Laune der Gesellschaft durch ein kleines Konzert auf das nächst höhere Niveau zu befördern trachtete. Dann weckte er eins seiner Kinder, damit es – mochte es auch noch so schlaftrunken sein – auf dem Klavier „Gaudeamus igitur“ („Lasst uns also fröhlich sein!“) anstimmte. Derweil seine Frau Christel, ebenfalls aus den Federn geeilt, ein Mitternachtssüppchen zubereitete.

DER MANN AUS DEM WESTERWALD

Kapelle und Postkutschenüberfall
Winkels, der Geburtsort von Willi Schüßler, ist ein Ortsteil der Gemeinde Mengerskichen im Landkreis Limburg-Weilburg. Ein ländlicher Flecken im Westerwald, der für Willi Schüßler existenzielle Bedeutung hatte. „Man muss wissen, wo man herkommt“, betonte er. Hatte er in seiner Firma eine Stelle zu vergeben und stellte sich im Gespräch heraus, dass der Kandidat aus dem Westerwald kam, war er quasi vom Fleck weg eingestellt. Für Willi Schüßler gab es kaum eine höhere Qualifikation als die, aus dem Westerwald zu sein.

Dort hatte er seine Jagd und seine Jagdhütte, über die er ein Gedicht schrieb, das er in der Hütte aufhängte. Im Westerwald sprach Willi Schüßler kein Hochdeutsch. Im Westerwald konnte es geschehen, dass er samstags in einem Liegestuhl Platz nahm und etwas tat, was er sonst nie tat: nichts. Im Westerwald erfüllte er sich einen Lebenstraum – den Bau der Schutzmantelkapelle „Maria auf dem Buchholz“ in Winkels.
Er war ein tief religiöser Mensch. „Ich möchte dem lieben Gott etwas von dem zurückgeben, was er mir in all den Jahren in so reichem Maß geschenkt hat“, sagte er.

Im Westerwald wurde außerdem auf besondere Weise anschaulich, dass Willi Schüßler vom Stamm der ewig Unternehmungslustigen war. Einmal feierte man dort ein Jubiläum, mit historischen Kostümen und Postkutschenfahrten. Was taten Willi Schüßler und seine Jagdkumpane? Sie spielten einen Postkutschenüberfall. Wildwest im Westerwald! Dummerweise gingen bei der Aktion die Pferde durch. Zu Schaden kam zum Glück niemand. Ausgenommen Willi Schüßlers Konto in der Flensburger Verkehrssünderdatei: Dort wurde ein Punkt vermerkt – wegen „gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr“.

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